Hätte
man mit dem imperfecto ...respiraba... übersetzen
können, und wenn ja, was hätte
es bedeutet? Es ist natürlich ziemlich
deutlich, dass respirar ein andauernder Prozeß ist. Respirar ist
immer Hintergrundhandlung, gibt es diese
Hintergrundhandlung nicht, dann gibt es
bei allen Lebewesen auch keine Handlungen
mehr, die in diese eingebettet sind. Unser
respirar steht
aber im indefinido, folglich haben wir
es nicht mit einem normalen Atmen zu
tun. Tatsächlich atmet er nicht, bzw.
das tut er schon die ganze Zeit. Tatsächlich
atmet er auf. Einen Verb für
aufatmen kennt
weder das Englische noch das Spanische,
der Vorgang muss umschrieben werden. Der
englische Satz lautet.
I breathed more
freely.
Die korrekte Übersetzung hierfür
wäre wohl schlicht Ich
atmete auf. Die Tatsache, dass alle
deutschen Übersetzungen mit ...Ich
atmete freier... übersetzen, dürfte
darauf zurückzuführen sein, dass
der Text nicht richtig klar ist. Der englische
Orginatext lautet so.
I felt nothing; yet
dreaded to move a step, lest I should be
impeded by the walls of a TOMB. Perspiration
burst from every pore, and stood in cold
big beads upon my forehead. The agony of
suspense grew at length intolerable, and
I cautiously moved forward, with my arms
extended , and my eyes straining from their
sockets, in the hope of catching some faint
ray of light.
I proceeded for many paces,
but still all was blackness and vacancy.
I breathed more freely. It seemed evident
that mine was not, at least, the most hideous
of fates.
Eine mögliche deutsche Übersetzung
wäre.
Nichts fühlte ich; doch
zitterte ich, einen Schritt zu tun: aus
Furcht, an die Wände eines Grabes
zu stoßen. Schweiß drang mir
aus jeder Pore und stand in dicken, kalten
Tropfen auf meiner Stirn. Die Angst der
Ungewißheit wurde zum Schluß unerträglich,
und ich wagte mich vorsichtig vorwärts,
streckte die Arme aus und starrte so angestrengt,
dass meine Augen fast aus ihren Höhlen
springen wollten, vor mich hin, in der
Hoffnung, einen wenn auch noch so schwachen
Lichtstrahl zu entdecken. Ich tat mehrere
Schritte, doch blieb alles dunkel und leer.
Ich atmete etwas freier. Es schien ja,
als habe man mich doch nicht dem gräßlichsten
aller Tode überliefert.
Wäre
in dem Text "der gräßlichste
aller Tode", dem er nun glaubt entronnen
zu sein, tatsächlich genannt, dann
würden wohl die meisten Übersetzungen
mit aufatmen übersetzen,
weil man im Deutschen aufatmet, wenn
man einer Gefahr entronnen ist. Das Problem,
dass wir hier haben, ist, dass erstens gar
nicht genannt wird, welchem Tod er entronnen
ist und zweitens auch nicht, wieso sein
Vorwärtstasten in der Finsternis ihn
beruhigte. Von daher schwebt das ...I
breathed more freely... etwas losgelöst
im Raum. Der Satz ...It
seemed evident that mine was not, at least,
the most hideous of fates... besagt ja eindeutig, dass
er einen schrecklichen Tod fürchtete,
jetzt aber beruhigt wurde. Auf der anderen
Seite wird aber nicht gesagt, was er befürchtete.
Literarisch gesehen, kann man das als Parabel
begreifen. Wir fürchten alle den Tod,
wie wir ihn uns allerdings vorstellen,
hängt von unserer Phantasie und Gemütslage
ab, und im Dunkeln tasten wir alle. Übersetzt
man mit ...ich atmete
freier... stellt
man eher auf eine veränderte Gemütslage
ab, die zu einer anderen Sicht der Dinge
führt. Eine veränderte Gemütslage
muss auch nicht notwendigerweise durch
eine tatsächliche Veränderung
der äußeren Bedingungen hervorgerufen
worden sein, die wir ja tatsächlich
nicht haben. Weil sich seine Gemütslage
unmotiviert geändert hat, atmet er
jetzt freier, beschrieben wird dann auch
ein andauernder Zustand. Die Wendung ...ich
atmete freier... suponiert auf jeden
Fall einen anderen Sachzusammenhang, als
die Endung ...ich
atmete auf. Wenn jemand einen Geldbeutel
verloren hat und diesen wiederfindet, dann
atmet er auf,
er er atmet dann
nicht freier.
Wenn jemand aber aus einem stickigen Raum
ins Freie tritt, dann atmet
er freier, er atmet
dann nicht auf.
Unser Problem ist,
dass beide spanischen Übersetzungen
das nicht so sehen, sie übersetzen
mit dem indefinido.
"Unsere" Übersetzung
Respiré con mayor libertad. Por
fin, me pareció evidente que el
destino que me habían reservado
no era el más espantoso de todos.
Die Übersetzung Julio Cortázars
Respiré con mayor libertad; por
lo menos parecía evidente que mi
destino no era el más espantoso
de todos.
Beide übersetzen mit einem
indefinido ...Respiré..., was auf
eine punktuelle Handlung verweist und
dem deutschen aufatmen entspricht.
Sie bewerten also stärker den letzten
Satz, der ja eindeutig besagt, dass ein
Bruch der Wahrnehmung stattgefunden hat,
dass er einen als besonders gräßlich
empfundenen Tod nun nicht mehr fürchtet.
Wie wir bereits gesehen haben, weichen
die zwei Übersetzungen hinsichtlich
des Zeitensystems selten von einander ab.
Hier weichen sie aber, wie bereits oben
beschrieben, von einander ab. Sie weichen
ab bei parecer. "Unsere" Übersetzung
stellt auf einen Bruch in der Wahrnehmung
ab, was durch das ...por fin... auch betont
wird. In "unserer" Übersetzung verweisen
sowohl das ...respiré... wie auch
das ...pareció... auf den Bruch
der Wahrnehmung. In "unserer" Übersetzung
heißt es auch me pareció.
Das ...me... besagt,
dass er selbst einen Bruch in seiner Wahrnehmung
erlebt. Das er selbst einen Bruch in der
Wahrnehmung erlebt, besagt der englische
Satz nicht, wir haben kein ...to
me.
I breathed more freely. It seemed
evident that mine was not, at least, the
most hideous of fates.
Nicht: I breathed
more freely. It seemed evident to
me that mine was not, at least, the most hideous of fates.
Bei Julio Cortázar drückt nur
... respiré ... einen eventuellen
Bruch der Wahrnehmung aus. Das ... parecía
... gibt zwar den englischen Satz korrekter
wieder, aber schon der englische Satz ist
merkwürdig, weil der Inhalt merkwürdig
ist. Es wird von einem Bruch der Wahrnehmung
gesprochen, der aber tatsächlich nicht
stattgefunden hat. Das ... parecía
... bzw. ... seemed ... lassen, im Spanischen
stärker als im Englischen, die Imagination
als einen Vorgang unbestimmten Anfanges
und unbestimmten Endes erscheinen. Es schien
also immer schon so, dass ihm nicht der
schrecklichste aller Tode bestimmt war,
während in seiner subjektiven Wahrnehmung
ja ein Bruch behauptet wird. Der Satz wirft
also Probleme inhaltlicher Art auf, grammatikalisch
lassen sich beide Lesarten begründen. |