Kapitel 9: subjuntivo, Konditional und Imperativ


9.1 Der deutsche Konjunktiv

 

Zusammen mit dem Zeitensystem ist der subjuntivo eines der kompliziertesten Kapitel der spanischen Grammatik. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass es im Deutschen nichts Vergleichbares gibt. Es besteht die Tendenz, ihn hinsichtlich seiner Funktion mit dem deutschen Konjunktiv zu verwechseln. Dieser Vergleich ist aber nicht unbedingt hilfreich, da sich der spanische subjuntivo vom deutschen Konjunktiv stark unterscheidet. Der spanische subjuntivo ist nicht mit dem deutschen Konjunktiv identisch. Die Unterschiede sind zahlreich. Erstens ist die Bildung des deutschen Konjunktivs morphologisch schwierig, so dass er insgesamt wackelt, weil allein schon die Bildung problematisch ist.

Er sagt, er sei in die Schule gegangen.
Er sagt, er ginge in die Schule.
Er sagt, er würde in die Schule gehen.

Er meint, wir würden ihm Geld stehlen. (Erlaubt, da Konjunktiv II, der an die Stelle des mit dem Indikativ identischen Konjunktivs I treten müsste, "gespreizt" klingt).
Er meint, wir stählen ihm Geld.
Er meint, wir stehlen ihm Geld.

Eigentlich ist der jeweils erste Satz richtig. Es müsste aber empirisch überprüft werden, wieviel Prozent der Deutschen tatsächlich die anderen zwei Sätze als falsch empfinden. Im Spanischen ist das anders. Die Bildung des Konjunktivs ist morphologisch klar, so dass das spanische System stabil ist und eine regelwidrige Verwendung als falsch empfunden wird.

Der deutsche Konjunktiv wird vor allem in der indirekten Rede verwendet. Genau da wird er aber im Spanischen nicht verwendet. Für Details siehe Kapitel 22.

Er sagte mir, dass er komme. = Me dijo, que iba a venir.


Wie im Deutschen werden Bedingungssätze aus einer Kombination von Konjunktiv und Konditional gebildet.

Wenn ich Geld hätte, würde ich mir ein Auto kaufen. = Si tuviera dinero, me compraría un coche.

Wobei das Deutsche auch hier wackelt

Wenn ich ihn sehen würde, würde ich ihn umbringen.
Wenn ich ihn sähe, brächte ich ihn um.
Wenn ich ihn sähe, würde ich ihn umbringen.
Wenn ich ihn sehen würde, brächte ich ihn um.


Das Spanische, siehe unten, wackelt nicht. Im wenn Teil des Satzes steht der subjuntivo, im Hauptsatz der Konditional. Das Deutsche verhält sich hinsichtlich des Konjunktivs überhaupt ein bisschen skurril. Nach bestimmten Konjunktionen verwendet nämlich auch das Deutsche den Konjunktiv, ohne dass aber eine richtige Systematik erkennbar wäre.

Er kam zur Tür herein, ohne dass ich es bemerkt hätte

Kausal ist eine Handlung im Sinne der conditio sine qua non-Formel, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. (Wörtlich entnommen aus einer juristischen Fachzeitschrift.)

Die oben stehenden Beispiele mögen manchen Leuten komisch vorkommen, aber google bringt für die Konstruktion ohne dass + Konjunktiv sehr viele Treffer.

In diesem Falle wird auch im Spanischen der subjuntivo verwendet. siehe Kapitel 14.2.42

Entró por la puerta sin que yo me diera cuenta. = Er kam zur Tür herein, ohne dass ich es bemerkt hätte.

Ein Bedürfnis, zwischen einer realen Handlung und einer vorgestellten, erträumten, gefürchteten, erhofften zu unterscheiden, scheint grundsätzlich zu existieren und zu stabilen Systemen zu führen, wenn die Bildung morphologisch klar ist. Nicht nur die romanischen Sprachen kennen den Subjunktiv, sondern auch das Persische.

Man mitarsam che u beravad. = Ich fürchte, dass er kommt. (Man mitarsam che u miravad ist falsch)


Der persische "subjunctivo", der eltezami, ist völlig identisch mit dem subjunctivo der romanischen Sprachen, bis in die Details. Da die Bildung morphologisch glasklar ist, ist auch das persische System stabil und eine regelwidrige Verwendung wird als falsch empfunden.

Es gibt Situationen, wo es zwingend notwendig ist, die Unbestimmtheit auszudrücken.

Wenn er uns bezahlt hat, geben wir es ihm.

 

Das Deutsche ordnet diesen Fall nicht in die Systematik einer allgemeingültigen Lösung ein (die es auch nicht gibt), sondern schafft für diesen Fall eine Sonderlösung, es verwendet den Perfekt. Für das Spanische wird dieser Fall durch ein allgemeingültiges System gelöst.

Es gibt noch andere skurrile Dinge im Deutschen. Der Deutsche sagt zum Beispiel so was.

Zuerst hat er mich beschimpft, und hinterher hat er mit mir geredet, als ob nichts geschehen wäre.

Diese Konstruktion ist eigentlich der Spanischen Konstruktion ähnlich, als ob zeigt an, dass es sich um eine Nichtwirklichkeit handelt und der Deutsche verwendet dann auch den Konjunktiv. Im Spanischen würde man so konstruieren.

Primero me insultó y después me habló como si no hubiera ocurrido nada.

Irgendwie scheint es so zu sein, dass auch im Deutschen ein subjuntivo prinzipiell angelegt ist, es die Sprecher danach drängt, einen solchen zu verwenden, aber dass er morphologisch so schwer umzusetzen ist, dass er nie zur vollen Blüte erstrahlen konnte.


Der Deutsche sagt zum Beispiel auch so was

Er weiß nichts, was uns interessieren könnte.

Dies entspricht der spanischen Konstruktion. Der Hauptsatz besagt, dass das im Nebensatz Geschilderte eine Nichtwirklichkeit ist. Im Spanischen würde man folgendermaßen konstruieren.

No sabe nada que nos pueda interesar.

Merkwürdigerweise sagt der Deutsche aber auch so was

Es gibt niemanden hier, der es weiß.
(Es gibt niemanden hier, der es wüsste)
Es gibt niemanden, der einen Kuchen backt.
(Es gibt niemanden, der einen Kuchen büke)

Auch hier besagt der Hauptsatz, dass das im Nebensatz geschilderte eine Nichtwirklichkeit ist. Der Deutsche nimmt aber hier eher den Indikativ und je "gestelzter" der Konjunktiv klingt, desto wahrscheinlicher der Griff nach dem Indikativ. Es ist also offensichtlich das morphologische Chaos, welches den Konjunktiv verdrängt und weniger ein grundsätzlich anderes "Sprachgefühl".

Besonders dicht am spanischen Sprachgefühl sind auch manche Sätze, die als fertige Redewendungen im Deutschen vorhanden sind.

Sei es wie es sei, wir können den Plan nicht umsetzen.

 

Der Sprecher weiß nicht genau, welche Hindernisse der Umsetzung des Planes im Wege stehen und bringt dies durch den Konjunktiv zum Ausdruck. Bei diesem Satz hat er keine Zweifel.

Da es so ist wie es ist, können wir den Plan nicht umsetzen.


Bei diesem Satz weiß der Sprecher genau, warum er den Plan nicht umsetzen kann.

Wie dem auch immer sei (!), das Deutsche hat außer in seiner Verwendung in der indirekten Rede den Konjunktiv nicht zu einem kohärenten System entwickeln können. Höchstwahrscheinlich stand die komplexe Morphologie des Konjunktivs dem im Wege. Der im Ausland erhobene Vorwurf, dass Deutsche cabezas cuadradas, Betonköpfe, seien, die sich streng an Regeln halten, ist zumindest im Hinblick auf die Sprache falsch. Wir sind Chaoten, haben aber unseren Spaß dabei.

Aufgrund der zahlreichen Unterschiede zum deutschen Konjunktiv wird im folgenden nur noch von subjuntivo gesprochen.



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