Kapitel 26: Reflexivpronomen


26.1.4 Der expletive Dativ

Das nicht reflexive Reflexivpronomen ist nicht das einzigen Pronomen, das nur schwach motiviert ist und deshalb für Verwirrung sorgt. Für Verwirrung können auch Konstruktionen dieser Art sorgen.

Dass du mir da mal nichts durcheinanderbringst!

Auch das mir, ein Dativ, ist schwach motiviert. Zwar ist es vor allem das nicht reflexive Reflexivpronomen, dass für allgemeine Verwirrung sorgt, aber im Grunde ist auch der expletive, schwach motivierte Dativ, ein Problem, auch wenn er seltener in Foren diskutiert wird.

Die Definitionen des expletiven ("überflüssigen") Dativs, wie man sie im Netz und in Büchern findet, sind etwas wirr. Wir werden darauf nicht näher eingehen. Es genügt festzustellen, dass allein die Tatsache, dass ein Personalpronomen (im Dativ) wegfallen kann ohne die syntaktische Integrität eines Satze zu gefährden nicht ausreicht, um dieses Personalpronomen im Dativ als expletiven Dativ zu qualifizieren. Betrachten wir diese beiden Sätze.

Das Glas glitt ihm / ihr / mir / dir aus der Hand.
Das Glas glitt aus der Hand.

Dieser Dativ wäre ein ethischer Dativ und der ethische Dativ, ist hier keineswegs "überflüssig". Lässt man ihn weg, verändert sich der Sinn eines Satzes. Es macht einen Unterschied, ob das Glas irgendjemandem aus der Hand gleitet oder einer ganz bestimmten Person aus der Hand gleitet. Beim ethischen Dativ führt irgendwas oder irgendwer eine Handlung aus und ein zweiter oder ein zweites ist von der Handlung betroffen. Dieser ethische Dativ, der absolut nicht expletiv und überflüssig ist, kann in der Regel auch ins Deutsche übertragen werden.

Des weiteren ist auch der dativus possessivus nicht notwendigerweise ein expletiver Dativ. Beim dativus possessivus ist der "Besitzer" des Subjektes der pasiva refleja das Dativobjekt. Die Konstruktion wird gewöhnlich mit einem Possessivpronomen ins Deutsche übertragen. (Dass er also ein "besitzanzeigender" Dativ ist, erschließt sich in der deutschen Übersetzung eher als im Spanischen Original.)

Se me cierran los ojos de sueño. <=> Vor lauter Müdigkeit fielen meine Augen zu.
Se le arrasaron los ojos en lágrimas. <=> Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Se te ha rizado el pelo. <=> Dein Haar hat sich gekräuselt.

Sueño, lágrimas und pelo sind die Subjekte der pasiva refleja. Aber dieses Subjekt gehört jemandem, nämlich me / le / te. Die Konstruktion gibt es natürlich auch ohne pasiva refleja.

Se le ha estropeado el coche. <=> Sein Auto ist kaputt gegangen. / Ihm ist das Auto kaputt gegangen.

Subjekt des Satzes ist "el coche" und der Besitzer des dieses Subjektes ist le. Folglich ist sein Auto kaputt gegangen.

Ein dativus commodi (Ich schenke ihm ein Buch) kann natürlich sowieso nie weggelassen werden. Man sollte sich klar machen, dass weder der dativus ethicus, noch der dativus possessivus, noch der dativus commodi immer expletiv, also "überflüssig", "bedeutungslos", "redundant" sind. Das kann so sein, aber es ist mitnichten die Regel.

Ein Dativ wird zu einem expletiven Dativ, wenn er weggelassen werden kann und die Kernaussage des Satzes nicht verändert wird, bzw. der ursprüngliche Satz objektiv noch die gleichen Informationen enthält, wie der Satz ohne das Personalpronomen im Dativ und der Satz weiterhin grammatikalisch richtig ist.

Beispiel

Fall mir nicht runter. <=> Fall nicht runter.
Grüß mir deine Eltern. <=> Grüß deine Eltern.
Du bist mir ja ein Schlawiner. <=> Du bist ja ein Schlawiner.

Ein Diskussion darüber, ob diese Konstruktionen stilistisch einwandfrei sind oder nicht, soll nicht geführt werden. Uns interessiert lediglich, dass sie verwendet werden. Die Tatsache, dass solche Konstruktionen verwendet werden, interessiert uns, denn es zeigt uns, dass Ähnlichkeiten in der verbalen Darstellung der Welt sprachübergreifend selbst dann noch vorhanden sind, wenn die Ähnlichkeit durch einen sachlogischen Zusammenhang gar nicht mehr erzwungen wird, Nuancen zum Ausdruck gebracht werden, die nur noch knapp über der Schwelle des Bewusstseins liegen.

Es geht also um eine Konstruktion, die das Deutsche zwar kennt, die aber dennoch sehr häufig nicht strukturgleich ins Deutsche übersetzt werden kann. Es lassen sich bei der Übertragung dieser Konstruktion drei Fälle unterscheiden.

 



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