Kapitel 26: Reflexivpronomen


Im Deutschen gibt es zu dem entsprechenden Verb mit Präposition oft noch eine semantisch ähnliche Version ohne Präposition. In der Regel ist das Verb mit Präposition transitiv, schließt also direkt an, das Verb ohne Präposition schließt jedoch mit einer Präposition an.

antworten auf

Ich antwortete auf seine Fragen.

beantworten

Ich beantworte seine Fragen.

sorgen für

Er sorgte für seine Mutter.

versorgen

Er versorgte seine Mutter.

fragen nach

Er fragte nach dem Weg.

erfragen

Er erfragte den Weg.

Auch der Anschluss eines Objektes, eines Sinnzusammenhanges über eine Präposition ist kein grammatikalisches Problem, wenn wir unter Grammatik ein System aus Regeln verstehen, das es uns erlaubt, regelbasiert beliebig viele Sätze zu bilden. Es handelt sich um ein semantisches Problem, das heißt um Bedeutungsnuancen innerhalb eines eng abgegrenzten semantischen Feldes.

Beispiel

Ich antwortete auf seine Fragen.
Ich beantwortete seine Fragen.

Die Sätze bedeuten nicht dasselbe. Es ist durchaus vorstellbar, dies geschieht sogar häufig, dass jemand auf eine Frage antwortet, die Frage aber nicht beantwortet. Antworten heißt im Grunde reagieren. Man kann sogar auf einen Brief antworten, der gar keine Frage enthielt. Und wenn man, nachdem man geantwortet hat, noch ein höfliches "Ist die Frage beantwortet" hinzufügt, dann meint man natürlich, dass die Antwort Unklarheiten beseitigt hat, denn dass "geantwortet" wurde, steht ja dann außer Frage.

Beispiel

Er sorgte für seine Mutter.
Er versorgte seine Mutter.

Sorgen ist wesentlich umfassender. Versorgen ist ein technisch / logistischer Vorgang. Man kann eine Kantine mit Fleisch versorgen, aber im übrigen sich nur Sorgen darüber machen, ob die auch die Rechnung bezahlen.

Beispiel

Er fragte nach dem Weg.
Er erfragte den Weg.

Auch diese zwei Sätze sind semantisch nicht gleichwertig. "Er erfragte den Weg" bedeutet eher, dass er mehrere Male gefragt hat. "Erfragen" kann auch nur benutzt werden, wenn der kognitive Prozess komplexer ist. "Er fragte nach ihr" ist möglich, aber "Er erfragte sie" geht nicht.

Dass die Sprache, bzw. die verbale Darstellung der Welt durch das Gehirn, sich als Mysterium metaphysischen Ausmaßes darstellt, haben wir bereits im Kapitel über die Verbalperiphrasen angemerkt. Das eigentliche Rätsel ist nicht in den Tiefen des Universums über der Schädeldecke, sondern darunter.

Hinsichtlich der semantischen Unterschiede zwischen dem Anschluss mit einer Präposition und einer semantisch ähnliche Alternative ohne Präposition sind zwei Dinge gewiss, die uns aber leider keinen Millimeter weiterbringen. Zu vermuten ist, dass der Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen "gelernt" wird.


Beispiel

Ich antwortete auf seine Fragen.
Ich beantwortete seine Fragen.

Ein Kind wird den Unterschied nicht erkennen. Zweitens ist noch sicher, dass wir diesen Unterschied nicht bewusst lernen. Wir "lernen" das "irgendwie". Wir wissen auch, wie wir uns die Bedeutungsunterschiede klar machen. Wir suchen nach Beispielen und vergleichen die jeweiligen Kontexte. Genau das tun wir aber nicht, wenn wir die Unterschiede "erlernen"; dies wäre zwar ein gangbare Methode, wir lernen so Bedeutungsunterschiede beim Erwerb einer Fremdsprache, aber beim Erwerb der Muttersprache gehen wir nicht so vor. Allerdings ist alles, was man zu dem Thema sagen könnte, Kaffeesatz lesen für Fortgeschrittene. Eine völlig wilde Theorie wäre das. Im Deutschen kann man mit vorangestellten Präposition zu vielen Verben ein weites semantisches Feld öffnen.

anfragen
erfragen
ausfragen
abfragen

Da die Möglichkeit besteht, kann das Gehirn, das die Unterscheidung von z.B. antworten und beantworten unsprachlich erkennt auch verbal ausdrücken, bzw. sie können ausgedrückt werden und diese Möglichkeit wird dann auch genutzt. Die Möglichkeit, mit Präpositionen ein semantisches Feld auszubreiten, besteht im Spanischen weit weniger, das Spanische unterscheidet z.B. auch nicht zwischen antworten und beantworten, es ist beides mal responder, obwohl der Unterschied natürlich auch den Spanisch Muttersprachlern vollkommen bewusst ist, wie diese google entnommenen Sätze zeigen.


Beispiel

No sé si respondí a su pregunta.
Ich weiß nicht, ob ich auf ihre Frage beantwortet habe.

Es ist natürlich klar, dass er nicht im Ungewissen darüber ist, ob er auf die Frage geantwortet hat. Er ist sich nur nicht sicher, ob er die Frage auch beantwortet hat. Der Unterschied zwischen antworten und beantworten ist dem Spanier natürlich, unbewusst, vollkommen klar. Er würde aber anders konstruieren.

Beispiel

Ich habe auf deine Frage geantwortet, aber ich weiß nicht, ob ich sie auch beantwortet habe.
Respondí a tu pregunta, pero no sé si te quedó todo claro.

Da Präpositionen nun mal eine Bedeutung haben, ist es klar, dass man mit einer Kombination aus Präposition und Verb ein semantisches Feld öffnen kann, so denn diese Möglichkeit, wie im Deutschen, überhaupt besteht. Wenn diese Möglichkeit aber nicht, oder nur sehr eingeschränkt besteht, wie im Spanischen, dann kann man eben mit Präpositionen kein semantisches Feld um ein Verb herum spannen. Wenn man besonders tollkühne Thesen aufstellen will, was der Autor nicht will, dann könnte man auch Folgendes sagen, allerdings ist unklar, wie man das beweisen soll: Auffallend ist, dass es wohl keine Verben mit einer vorangestellten Präposition gibt, die auch mit einer Präposition ein Objekt oder einen Sinnzusammenhang anschließen.

Beispiel

  Er beantwortete meine Frage.
  nicht: Er beantwortete auf meine Frage.

Es gibt sowohl das eine wie auch das andere, das Voranstellen einer Präposition und die Präposition als Verbindungsglied zwischen Objekt / Sinnzusammenhang, wobei im Deutschen ersteres, im Spanischen zweiteres bedeutsamer ist. Sowohl als auch gibt es aber nicht. Ist also die Grundentscheidung für die Voranstellung der Präposition getroffen, dann ergibt sich hieraus ein Möglichkeitsraum, der genutzt werden kann. Ist aber die Grundentscheidung für die Präposition als Verbindungsglied zwischen Objekt / Sinnzusammenhang gefallen, dann ergibt sich hier ein anderer Möglichkeitsraum, wie etwa die Verbalperiphrasen, bei denen ja in der Regel das infinite Verb über eine Präposition an das finite Verb angeschlossen (wenn es nicht, wie etwa der gerundio von vorneherein ein Adverb ist) wird, was im Deutschen nicht möglich ist, weil der Infinitiv nicht als Verbalsubstantiv aufgefasst wird und folglich auch nicht mit einer Präposition angeschlossen werden kann. Es ist also nicht eine andere Strukturiertheit bei der verbalen Erfassung der Welt, die zu Unterschieden führt, sondern zufällig getroffene Grundsatzentscheidungen und die durch diese bedingte dynamische Entwicklung, die es erlaubt, die unsprachlich vorliegende differenzierte mentale Vorstellung in der einen Sprache pointierter auszudrücken als in der anderen, indem der jeweils zur Verfügung stehende Möglichkeitsraum genutzt und teilweise zum Standardrepertoire wird. "Abtanzen" war sicherlich mal eine sporadische Nutzung des Möglichkeitsraumes, die aber heute schon Standard ist. Anzunehmen ist, dass auch das Spanische den Möglichkeitsraum der Verbalperiphrasen weiter nutzen wird. Für "der sappelt den besten Hund kaputt", wäre z.B, das nicht existierende "me mata hablando" ganz hübsch. Sollten Sie sich fragen, warum hier soviel über den Zusammenhang von Sprache und Denken gesprochen wird, dann können Sie bei google (in Anführungsstriche) "Sprache und Denken" eingeben, dann sehen Sie die Misere. Die Idee, dass Sprache das Denken determiniert ist so falsch wie weit verbreitet und suggestiv. Weil das, was von der geistigen Aktivität hörbar und lesbar ist, sprachlich vorliegt, ist es suggestiv anzunehmen, dass auch die Produktion dieser Aktivität irgendwas mit Sprache zu tun hat. Diese Annahme dürfte falsch sein.

Wir haben schon bei den Verbalperiphrasen gesehen, dass eine sprachliche Äußerung lediglich ein Möglichkeitsraum ist, und das Verständnis einer sprachlichen Äußerung auf der Fähigkeit beruht, aus mehreren Sachverhalten, die die sprachliche Äußerung beschreibt, die im jeweiligen Kontext Wahrscheinlichste auszuwählen. Wir haben dort auch einige Überlegungen die Frage betreffend angestellt, welche Situationen hierbei möglich sind. Weiter haben wir uns dort darüber Gedanken gemacht, dass während der Dekodierung und Entkodierung nur die relevanten Bestandteile dekodiert bzw. entkodiert werden.

Aus der Tatsache, dass die eine Sprache manchmal pointierter und schärfer formuliert als die andere, kann man also nicht den Schluss ziehen, dass diese pointiertere, präzisere Darstellung ursächlich etwas mit der Sprache an sich zu tun hat. Die sprachlose Durchdringung der Welt, ist immer die gleiche. Bedingt durch die innere Dynamik der Sprache jedoch, kann diese sprachlose Durchdringung sprachlich pointierter oder weniger pointiert sein. Unterschiede kann man durchaus konstatieren. Die These aber, dass manche Sprachen "leistungsfähiger" sind oder eine andere Sicht der Welt liefern ist Unsinn, da letztlich unsprachlich darüber entschieden wird, was gemeint ist. Ein wahrlich grauenhaftes Spektakel in puncto sprachliche Determiniertheit der Welt führt uns die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor: <A href=http://www.faz.net/aktuell/finanzen/studie-warum-die-griechen-mit-deutsch-weniger-schulden-haetten-11686295.html target=_blanc> Warum die Griechen mit Deutsch weniger Schulden hätten </a>. Hier allerdings wird jeder Versuch, das Thema argumentativ anzugehen scheitern.

Last not least. Der Autor ist ja kein Naturwissenschaftler, aber vermutlich war die Realität vor der Sprache da. Zwar steht in der Bibel am Anfang war das Wort (Johannes 1,1), aber daraus schließt der Autor nur, dass Gott ein Linguist war, denn nur ein Linguist kann auf die Idee kommen, dass das Wort vor der Realität da war. Ohne Realität braucht man keine Sprache. Es gab also zuerst die Realität, dann die Verarbeitung dieser Realität durch einen mentalen Prozess und letztlich die Sprache, die das Ergebnis dieses Prozesses ausdrückt. Es ist der mentale Prozess, der die Sprache treibt und nicht umgekehrt. Der Quark mit der sprachlichen Determiniertheit der Sicht auf die Welt wird nun schon ein paar 100 Jahren erzählt, von Humboldt, bis zu Saphir - Whorff. Dass bestimmte ethnische Gruppen mehr Wörter für etwas haben, die Japaner für Reis, die Eskimos für Schnee etc. ist trivial. Ein Automechaniker kennt z.B. X Begriffe für Zange (Lochzange, Kneifzange, Engländer, Schaffnerzange etc.). Für den Autor sind das so Teile, mit denen man eine Schraube aufdrehen kann, wenn man nicht den richtigen Schlüssel hat. Abweichungen wie sie von den Adepten der Sprachdeterminiertheit der Welt vorgebracht werden, lassen sich auch innerhalb derselben Sprachgemeinschaft finden. Ein Müller kennt X Sorten von Mehl, für den Autor ist Mehl einfach Mehl.

Geht es um sachlogische Zusammenhänge gibt es keine Determiniertheit der Welt durch die Sprache. Da wo Sprache eine spezifische Sicht auf die Welt vermittelt, ist sie unsprachlich, verweist eben auf kein signifié, nicht mal auf eines als Möglichkeitsraum. Das Wetter ist schlecht und ich bin auf einem Depri Trip liest sich in einem Gedicht so.


Gedicht

Über die Heide hallet mein Schritt
dumpf aus der Erde, wandert es mit
Herbst ist gekommen, Frühling ist weit
gab es denn einmal selige Zeit?

Der Dichter will uns sagen, dass das Wetter schlecht und er mies drauf ist. Er sagt uns aber mehr als das und dieses Mehr ist unsprachlich. Da wo Sprache also unsprachlich ist, auf keinen realen, kognitiv fassbaren Möglichkeitsraum verweist, gibt es vielleicht tatsächlich Unterschiede zwischen den Sprachen. Nimmt man es aber ganz genau, dann wird man feststellen, dass dieses Mehr an Bedeutung, dieses Mehr, das kognitiv schlecht fassbar ist, durch eine unterschiedliche Prägung bedingt ist, die auch die Sprache einfärbt. Man kann ohne weiteres davon ausgehen, dass der Frühling in Deutschland anders wahrgenommen wird als in Argentinien.



Kontakt Impressum Datenschutz