Kapitel 26: Reflexivpronomen


26.1.5.1 Verben bei denen das Reflexivpronomen zu einer Bedeutungsnuance führt, die semantische Grundbedeutung aber erhalten bleibt

Wie bereits erwähnt, gehören zu dieser Gruppe all die Verben, bei denen sich durch die Verwendung eines nicht reflexiven, schwach motivierten Reflexivpronomens eine oft, wenn auch nicht immer, schwer zu fassende Bedeutungsnuance ergibt. Die meisten Fragen in Internetforen beziehen sich auf diese Verben, also auf Verben wie ir <=> irse, salir <=> salirse, tomar <=> tomarse, caer <=> caerse, comprar <=> comprarse, beber <=> beberse etc. etc. Es sind Verben, die üblicherweise in der Form ohne Reflexivpronomen gelernt werden und bei denen es besonders augen- und ohrenfällig ist, dass das Reflexivpronomen, das ja eigentlich darauf hinweist, dass das Subjekt des Satzes auch Ziel der durch das Verb beschriebenen Handlung ist, etwas deplaziert ist. Eine allgemeine Regel, wie das Reflexivpronomen jeweils zu verstehen ist, existiert nicht. Für jedes einzelne dieser Verben ergibt sich durch das Reflexivpronomen eine besondere "Tönung". Man muss sie also einzeln durchgehen, generelle Regeln können nicht aufgestellt werden. Die Beispiele wurden alle ergoogelt.

Last not least kann man sich noch klar machen, dass die Reflexivpronomen, die hier beschrieben werden, rein grammatikalisch unterschiedlich sind. Bei transitiven Verben ist das schwach motivierte Reflexivpronomen ein Dativ, denn der Akkusativ ist ja dann besetzt.

Beispiel
Dativ: Me fumé un cigarillo. <=> Ich habe eine Zigarette geraucht.
Akkusativ: Me salí. <=> Ich bin rausgegangen.

Alle diese Reflexivpronomen sind NICHT expletiv.
a) Reflexivpronomen vom Verb verlangt: Nadie se acordó de él.
b) dativus ethicus mit pasiva refleja: Se le repararon los frenos.
<=> Man hat ihm seine Bremsen repariert.
c) dativus ethicus mit si impersonal: Se me dijo que nos se podía hacerlo.
<=> Man sagte mir, dass man das nicht tun könne.
d) Reflexivpronomen mit dativus possessivus: Se le adormeció la pierna.
<=> Sein Bein schlief ein.

Bei a) kann se nicht wegfallen, denn es heißt nun mal acordarse de algo. Bei b) kann weder se noch le wegfallen. Se bildet die pasiva refleja und ob man jemandem bestimmten die Bremsen repariert oder man schlicht Bremsen repariert, ist nicht das gleiche. Gleiches gilt für c), nur dass das se jetzt Bestandteil des si impersonal ist. Be d) kann das se nicht wegfallen, weil einschlafen nun mal endormecerSE ist und nicht endormecer ist und das le kann nicht wegfallen, weil sein Bein eingeschlafen ist und nicht ihres / unseres / meines / deines. In Verbindung mit der pasiva refleja / si impersonal ist der dativus ethicus / dativus possessivos nicht expletiv.

Diese Reflexivpronomen sind expletiv. Expletive Reflexivpronomen können sowohl Dativ wie    auch Akkusativ sein.
Dativ: Se comió todo el pollo.
Akksusativ: Nos salimos del cine porque la película era aburridísima.
dativus ethicus: No me llores. <=> Heul (mir) nicht.
Reflexivpronomen mit dativus ethicus: No te me vayas. <=> Hau mir nicht ab.
Reflexivpronomen mit dativus possessivus: No te me cortes el dedo. <=> Schneide mir nicht in deinen Finger.

Hier kann das Pronomen tatsächlich wegfallen, man hätte keinen Informationsverlust und die Sätze wären weiterhin grammatikalisch richtig. (Immer unter der Vorrausetzung, dass wir expletiv als schwach motiviert definieren und nicht als "überflüssig", denn "Salimos del cine" y "Nos salimos del cine" ist nicht genau das gleiche.)

Wir betonen nochmal, dass es absolut keinen Sinn macht, Konstruktionen wie die oben angeführten in einen Topf zu werfen und sie abstrakt auf irgendeine Art zu beschreiben. Man kann sich über den dativus ethicus unterhalten und analysieren, wann dieser redundant ist. Man kann sich über den dativus possessivus unterhalten und analysieren, wann dieser redundant ist. Und man kann sich auch über das Reflexivpronomen unterhalten, im Dativ und im Akkusativ und schauen, wann dieses redundant ist. Das sind aber alles völlig unterschiedliche Dinge. Vermischt man sie, ist der Erkenntniswert Null.

Entscheidend ist zu erkennen, dass sie sich zwar formal ähneln, de facto aber völlig unterschiedlich sind. In diesem Kapitel geht es jetzt tatsächlich um "expletive" Reflexivpronomen. Sie sind grammatikalisch nicht notwendig und der semantische Wert ist diffus, sie sind also semantisch schwach motiviert. Es vereinfacht die Diskussion erheblich, wenn man nicht alles in den großen Topf "expletiv" wirft. Tatsächlich expletiv sind nämlich nur sehr wenige Reflexivpronomen. Man findet oft Listen wie aprenderse, beberse, callarse, comerse, conocerse, creerse, encontrarse, estudiarse, fumarse,ganarse, gastarse, imaginarse, leerse, llevarse, morirse, pensarse, recorrerse, reírse, saberse, tomarse, traerse, tragarse, verse und die Behauptung, dass die Reflexivpronomen dieser Verben die gleiche grammatikalische / semantische Funktion haben, da es ja jeweils noch eine Variante ohne Reflexivpronomen gibt: beber <=> beberse, leer <=> leerse, gastar <=> gastarse etc.. Tatsächlich handelt es sich aber um völlig unterschiedliche Phänomene. Die Angelegenheit wird nicht einfacher, wenn man alles in einen Topf wirft.

Beispiel
das Verb ist immer reflexiv: De repente todos se callaron. <=> Plötzlich schwiegen alle.
tatsächlich expletiv / schwach motiviert: Me lo leí en una noche. <=> Ich habe es in einer Nacht gelesen.
semantisch unterschiedlich: Se rieron de él. <=> Sie machten sich über ihn lustig.


Es macht des weiteren Sinn sich klar zu machen, dass es sehr oft im Deutschen eine Entsprechung gibt zu dem "expletiven" Reflexivpronomen, dieses Verb dann aber diastratisch und diaphasisch eingegrenzt ist, also nicht neutral ist. Siehe Beispiele unten ir <=> irse und andere.



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