Die genaue Bedeutung der Konstruktion andar + gerundio kann nur aus dem Kontext heraus verstanden werden und ohne Kenntnis des Kontextes lässt sich auch nicht entscheiden, wie zu übersetzen ist.
Beispiel
1) No sé por qué anda diciendo que soy un criminal.
=> Ich weiß nicht, warum er überall herumposaunt, dass ich ein Verbrecher sei.
2) Siempre andan discutiendo, creo que nunca se ponen de acuerdo.
=> Die streiten sich ständig, sind sich nie einig.
3) Si lo tuyo es andar descubriendo paso a paso la magnífica naturaleza que nos rodea, estás de suerte!
=> Wenn es dir Freude bereitet, Stück für Stück die herrliche Natur zu erkunden, die uns umgibt, dann kannst du dich glücklich schätzen.
4) Andan pensando en mudarse.
=> Sie tragen sich mit dem Gedanken umzuziehen.
Wie deutlich zu erkennen, besteht zwar im Spanischen ein Muster, andar + gerundio eben, allerdings gibt es kein Muster im Deutschen, dass diesem entspricht, so dass eine Übersetzung nur möglich ist, wenn die Sätze interpretiert werden, wobei auch noch ein Satz herauskommen sollte, den Deutsche nicht als ungewöhnlich empfinden. 1) könnte man z.B. auch so übersetzen.
~ Ich weiß nicht, warum er durch die Gegend läuft und überall erzählt, dass ich ein Verbrecher sei.
Das wäre wohl stilistisch nicht so elegant. Da die Konstruktion andar + gerundio in Satz 1) zum einen auf die Kontinuität der Handlung abstellt, auf der anderen Seite auf die Tatsache, dass der Vorgang örtlich überall stattfindet, wäre auch dies möglich.
Er erzählt ständig und überall, dass ich ein Verbrecher sei.
Man wird den Satz aber wohl auch kaum überintepretieren, wenn man sagt, dass derjenige, der diese Geschichte erzählt, dies lautstark, gerne, mit Genuss und oft tut. Dies könnte man im Deutschen mit „herausposaunen“ umschreiben.
Denkt man über solche Zusammenhänge länger nach, schaut man in einen philosophischen Abgrund mit geradezu metaphysischen Dimensionen. Man erkennt dann unschwer, dass Begriffe wie Signifiant und Signifié, Bezeichnendes und Bezeichnetem, nur Leute faszinieren können, die in diesen Abgrund noch nicht geschaut haben, obwohl man, löst man sich von der reinen Beschreibung, man sehr schnell ein Gespür für die enorme Dynamik zwischen den Verhältnissen der Welt und der sprachlichen Erfassung und Beschreibung der Verhältnisse dieser Welt bekommt. Machen wir uns das an einem anderen Beispiel klar. Bekanntlich kann der spanische Gerundio alle möglichen Nebensätze ersetzen, siehe Kapitel 8.18. Da der Gerundio aber im Gegensatz zum Nebensatz die logische / temporale Beziehung zwischen Haupt- und Nebensatz nicht durch eine Konjunktion offen legt, muss das Gehirn die Aussage im Kontext interpretieren. Ein Gerundio kann einen Modalsatz und einen Temporalsatz ersetzen, folglich ist der folgende Satz zweideutig.
Beispiel
Leyendo el libro resolvió el problema.
=> Indem er das Buch las, löste er das Problem.
Modalsatz: In dem Buch stand die Lösung.
=> Während er das Buch las, löste er das Problem.
Temporalsatz: Er las ein Buch und war so genial, dass er nebenbei noch was anderes tun konnte.
Ein solch zweideutiger Satz kann zu drei unterschiedlichen Situationen führen.
Beispiel
Der Hörer besitzt eine genaue Kenntnis des Kontextes, weiß zum Beispiel, dass ein Zusammenhang zwischen Buch und Problem besteht, und interpretiert den Satz als Modalsatz.
Der Hörer besitzt diese genaue Kenntnis nicht und interpretiert den Satz falsch. Er versteht ihn zum Beispiel so, dass er das Problem gelöst hat, während er ein Buch las. Er interepretiert den Satz also als Temporalsatz.
Er erkennt, dass zwei mögliche Szenarien denkbar sind, weil er gedanklich, im Bruchteil einer Sekunde, beide möglichen Szenarien gedanklich durchspielt.
Wir erkennen aber, dass zwischen Satz und Ereignis keineswegs eine 1 zu 1 Beziehung herrscht, der Satz eigentlich nur mögliche Ausprägungen der Realität beschreibt, auf die der Hörer unterschiedlich reagieren kann, wobei die Art, wie er darauf reagiert, wieder von seiner Vorerfahrung abhängt: Was er von demjenigen hält, der den Satz äußert, was er über den denkt, der das Buch liest, ob er es für wahrscheinlich hält, dass in einem Buch die Lösung eines Problems enthalten sein kann und für wie wahrscheinlich er Multitasking beim Menschen hält. Wir haben es bei der Verarbeitung von Sprache mit einem äußerst dynamischen Geschehen zu tun. Von der Tatsache, dass auch die einzelnen Bestandteile des Satzes (Was genau ist eigentlich ein Problem?; Was ist ein Buch?; Was heißt lösen?) erklärungsbedürftig sind, sehen wir hierbei sogar ab. Klar ist, dass egal ob wir sprechen oder hören, die Vorstellung von der Realität dominiert. Wenn wir über solche Sätze nachdenken, werden wir wohl der Aussage zustimmen, dass wir es bei Verbalperiphrasen nicht mehr mit einem grammatikalischen Phänomen zu tun haben, wie dies „Sprachwissenschaftler“ behaupten. Bei einem grammatikalischen Phänomen besteht ein Muster, dem ein Muster in einer anderen Sprache entspricht, denn die Grammatik beschreibt Regeln, nach denen schematisch übersetzt wird. Konstruktionen vom Typ „estar + gerundio“, „tener que + infinitivo“, „haber que + infinitivo“ etc. etc. werden in Lehrgrammatiken auch nicht als Verbalperiphrasen bezeichnet, weil es für diese Konstruktionen im Deutschen, Französischen, Englischen etc. ein äquivalentes Muster gibt. „Sprachwissenschaftler“ schlagen auch diese Konstruktionen den Verbalperiphrasen zu, weil sie formal, finites Verb mit abweichender Grundbedeutung + infinites Vollverb, diesen formal ähneln. Dem Praktiker, also zum Beispiel dem Übersetzer, wird dies aber nicht helfen. Er ist, will er adäquat übersetzen, auf seine Fähigkeit angewiesen, für die psychosoziale Dynamik, die in diesen Konstruktionen zum Ausdruck kommt, Worte in der Zielsprache zu finden, die diese Dynamik so differenziert zum Ausdruck bringen, wie die Ausgangssprache. Falsch ist im Übrigen schon die Vorstellung, dass hierbei von einer Sprache in die andere übersetzt wird. Tatsächlich entsteht abstrakt und sprachlos eine Vorstellung des Geschilderten und diese sprachlos vorliegende Vorstellung wird dann in der Zielsprache sprachlich neu gestaltet. Dass wir hier vor einem Abgrund von fast metaphysischer Tiefe stehen, bzw. einer Nuss, die auch Neurophysiologen wohl in absehbarer Zeit nicht knacken werden, ist unbestritten. Allerdings liegt die Mystik nicht in der Sprache selbst, wie Heidegger mystisch, planetarisch vor sich hin raunt, Heidegger über Sprache, sondern in der Tatsache, dass das Gehirn höchst, aber höchst komplizierte Zusammenhänge äußert differenziert sprachlos erfassen und diese dann sprachlich einem anderen mitteilen kann. Hören wir, so gleichen wir das Gehörte mit allen relevanten, möglichen Ausprägungen der Realität ab und wählen die Wahrscheinlichste. Sprechen wir, so haben wir, zumindest meistens, eine präzise, unsprachlich vorliegende Vorstellung von der Realität, die wir durch mehr oder minder geschickte Formulierungen anderen versuchen mitzuteilen. Das sprachwissenschaftliche Geblubbere von sprachlichen Zeichen bei Bühler, Saussure, Shannon / Mole und Semiotik verdunkelt eher die Problematik, anstatt selbige zu erhellen. Des weiteren könnten staatstragende Reden von verbeamteten Geistlichen, vulgus Geisteswissenschaftler und anderen Trägern steuerfinanzierter Kultur bis hinab zu Westerwelle und Bernd Neumann über die Bedeutung der Sprache für das Denken unterbleiben, weil Sprache mit Denken nur insofern was zu tun hat, als manche Leute es schaffen, ihre Gedanken griffig, pointiert und manchmal sogar witzig anderen mitzuteilen und andere dies nicht können. Dies zu üben, in Schule, Uni und überall, wäre sinnvoll, denn verquaste Texte kosten Zeit und Geld. Wissenschaftlich ist das „sprachwissenschaftliche“ Geblubbere langweilig und nutzlos, der Erkenntniswert Null, weil es lediglich beschreibt, wodurch weder etwas über das eigentlich Entscheidende ausgesagt werden kann, die Verarbeitung von Sprache im menschlichen Gehirn, noch etwas über die Dynamik der Sprache als soziales und individuelles Phänomen. Biologen, Mediziner, Psychologen und Philosophen werden wohl in Zukunft die entscheidenden Impulse für die Erforschung der Sprache geben. Auf das Gesülze der „Sprachwissenschaftler“ kann man eigentlich verzichten, die Lehrstühle kann man umwidmen.
Die Aussage, dass das sprachliche Zeichen, das signifiant für etwas, nämlich das signifié, steht, ist trivial, genauer genommen, schlimmer als trivial. Wer glaubt, damit Wesentliches zu sagen, gibt zu erkennen, dass er ein äußerst triviales Verhältnis zur Sprache hat, was für "Sprachwissenschaftler" ja ein kurioser Zustand ist. Das sprachliche Zeichen verweist nämlich gerade nicht auf etwas Konkretes, es verweist auf einen Raum von Möglichkeiten und mehrere Wörter hintereinander verweisen, so sie sinnvoll sind, auf mögliche Sinnzusammenhänge, wobei weitgehend unklar ist, wie das Gehirn den Möglichkeitsraum wieder verengen und so erfassen kann, was eigentlich gemeint ist. Der Empfänger kann subjektiv der Meinung sein, dass nur ein Sinnzusammenhang gemeint sein kann oder es kann objektiv nur einen Sinnzusammenhang geben. Ist der Empfänger subjektiv der Meinung, dass der Sinnzusammenhang eindeutig ist, interpretiert er ihn richtig, wenn sich seine subjektive Vorstellung mit denen des Senders deckt. Die Tatsache, dass es objektiv nur einen plausiblen Sinnzusammenhang gibt, heißt aber nicht, dass der Empfänger nur einen möglichen Sinnzusammenhang sieht. Hören wir den Satz
Da hat er uns einen schönen Salat hinterlassen
dann werden die meisten den Satz so interpretieren, dass jemand einen Unfug veranstaltet hat und sich dann aus dem Staub gemacht hat. Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, werden eher vermutet, dass jemand einen schönen Salat gemacht hat, den die anderen dann essen können. Weiter ist das Gehirn auch in der Lage, die Verengung des Möglichkeitsraumes nur da durchzuführen, wo es relevant ist. Zwar verweist schon das Wort Salat auf einen weiten Möglichkeitsraum, für die Interpretation des Satzes ist das aber gleichgültig, der Empfänger wird nur die relevanten Bestandteile zu konkretisieren versuchen. In einem anderen Kontext muss der Möglichkeitsraum des Wortes Salat verengt werden, zum Beispiel bei einer Speisekarte.
Salat je nach Saison
In diesem Fall wird der Empfänger den Möglichkeitsraum des Wortes Salat einengen. Das Gehirn muss also nicht nur abschätzen, welche Möglichkeit die plausibelste ist, sondern auch eine Entscheidung darüber treffen, welcher Möglichkeitsraum eingeschränkt werden muss, um eine Reihe von Wörtern, einen Sinnzusammenhang, sinnvoll zu interpretieren.
Der Möglichkeitsraum wiederum ergibt sich aus einer äußerst komplexen Erfahrung der Welt. Die wenigsten wären in der Lage, genau zu beschreiben, worin sich Käse, Butter, Quark, Yoghurt, Streichkäse, Frischkäse etc. etc. unterscheiden. Ein Kind lernt aber im Laufe der Zeit, relevante Kriterien zu entwickeln, lernt zum Beispiel, dass die Farbe nicht ausschlaggebend ist, lernt aber auch Gemeinsamkeiten. Die Entstehung des Möglichkeitsraumes ist also an sich schon ein Problem. Die Fokussierung auf die Sprache unter Abstrahierung des Urhebers derselben führt ins Nichts.