Oft, keinesfalls jedoch immer, wie wir später sehen werden, wird eine spanische Verbalperiphrase mit einem Adverb übersetzt. (Manchmal hat das Deutsche auch einen eigenen, äquivalenten Ausdruck: Rompió a llorar <=> Er brach in Tränen aus). Wenn jedoch die Aussage gemacht wird, „Sprachwissenschaftler“ tun dies oft, dass das Spanische grundsätzlich eine Präferenz für Verbalkonstruktionen habe und prinzipiell mit Verbalperiphrasen konstruiert, wo im Deutschen mit Adverbien und adverbialen Bestimmungen konstruiert wird, dann müsste diese Behauptung tatsächlich empirisch überprüft werden. Die Tatsache allein, dass solche Konstruktionen existieren, beweist noch nicht, dass sie einer Konstruktion mit einem Adverb bzw. einer adverbialen Bestimmung immer vorgezogen werden. Für die meisten Verbalperiphrasen gibt es auch eine Alternative mit einem Adverb oder einer adverbialen Bestimmung.
Beispiel
Se iba poniendo pesado. => Allmählich wurde er lästig.
=> Se ponía cada vez más pesado.
Acabé abandonando la idea. => Ich habe die Idee schließlich aufgegeben.
=> Finalmente abandoné la idea.
Ha vuelto a hacerlo. => Er hat es noch mal gemacht.
=> Lo ha hecho otra vez.
Mi coche sigue funcionando. => Mein Auto läuft noch.
=> Mi coche funciona todavía.
Bei den oben genannten Konstruktionen ist es keineswegs so, dass die Verbalperiphrase der äquivalenten Konstruktion mit einem Adverb / einer adverbialen Bestimmung der Vorzug gegeben wird. Man kann, natürlich mit Anführungsstrichen, die Verbalperiphrase und die Alternative mit einem Adverb / einer adverbialen Bestimmungen bei google eingeben und wird feststellen, dass oft sogar die Konstruktion mit einem Adverb / einer adverbialen Bestimmung mehr Treffer liefert. Ein völlig anderes Bild ergibt sich natürlich bei den Verbalperiphrasen, die sich semantisch von allen denkbaren Alternativen in einer Nuance unterscheiden oder zu denen es sogar überhaupt keine Alternative gibt. Die allgemeine Aussage, dass das Spanische eine Konstruktion mit einer Verbalperiphrase einer Konstruktion mit einem Adverb, einer adverbialen Bestimmung vorzieht, kann sich also nur auf Verbalperiphrasen beziehen, wo man auch mit einem Adverb wie poco a poco, todavía, finalmente, otra vez etc. konstruieren könnte, wobei, wie schon angemerkt, diese Aussage nur dann richtig ist, wenn tatsächlich die Verbalperiphrase die üblichere oder zumindest die elegantere Alternative darstellt, was sich aber so ohne weiteres empirisch nicht belegen lässt.
Neben den Verbalperiphrasen des oben genannten Typs gibt es aber auch noch welche, die nicht durch eine Alternative substituiert werden können, weil der Sinn entweder modifiziert, oder schlicht gar nicht anders ausgedrückt werden kann. Hier gibt es aber auch Beispiele, wo auch das Deutsche nicht mit einem Adverb konstruieren kann.
Echó a correr => Er nahm die Beine in die Hand. Comenzó a correr => Er fing an zu laufen.
Zu „Echó a correr“ gibt es keine Alternative, denn der Ausdruck beinhaltet, dass es einen sehr triftigen Grund gab, etwas schneller zu gehen und entspricht damit nicht „Er fing an zu laufen“. Der Ausdruck "Comenzó a correr" / "Er fing an zu laufen" kann auch, und wird normalerweise, in einem Kontext verwendet, bei dem der Läufer freiwillig anfängt zu laufen. Der Dieb, der in flagranti erwischt wird, fängt aber eben nicht freiwillig an zu laufen, sondern "Er nimmt die Beine in die Hand" bzw. "Echa a correr. Es gibt hierzu weder im Spanischen noch im Deutschen eine semantisch gleichwertige Alternative.
Rompió a llorar. => Er brach in Tränen aus. Empezó a llorar. => Er fing an zu weinen.
Hier sind die denkbaren semantischen Alternativen zwar nicht völlig unterschiedlich, aber auch nicht gleichwertig. „Rompió a llorar“ bzw. "Er brach in Tränen aus" verweisen auf eine sehr viel stärkere emotionale Involviertheit als „Empezó a llorar“ bzw. "Er fing an zu weinen" und von daher gibt es auch hier keine Alternative.
Die Frage also ob das Spanische die Periphrasen einer semantisch gleichwertigen Konstruktion mit einem Adverb / einer adverbialen Bestimmung vorzieht, müsste also unter drei Aspekten untersucht werden.
1) Gibt es überhaupt eine semantisch gleichwertige Konstruktion mit einem Adverb / einer adverbialen Bestimmung? Ist dies der Fall, wäre zu prüfen, ob die Periphrase tatsächlich üblicher ist. Ein Vergleich der Periphrase mit der Alternative über Treffer bei google legt eher nahe, dass diese Präferenz nicht existiert.
2) Wenn es keine Alternative gibt, dann wird die Periphrase nicht vorgezogen, es ist schlicht die einzige Möglichkeit. Oft haben wir dann auch im Deutschen die Situation, dass eine semantisch gleichwertige Konstruktion nicht vorliegt und nur der bestimmte idiomatische Ausdruck den maßgeblichen Aspekt pointiert zum Ausdruck bringt.
3) Mit der Aussage, dass das Spanische eine Präferenz für Periphrasen hat, wird oft die Aussage verbunden, dass das Deutsche eine Präferenz für das "Adverbielle" hat. Aussagen dieser Art finden sich meistens in "wissenschaftlichen" Studien, die die Grammatik des Deutschen der Grammatik des Spanischen kontrastiv gegenüberstellen. Diese Aussage ist allerdings von vorneherein unsinnig, weil eine Aussage über eine Sprache nicht im Vergleich zu einer anderen Sprache gemacht werden kann, sondern nur in Gegenüberstellung zu allen, zumindest aber mehreren, anderen Sprachen. Man kann höchstens sagen, dass das Spanische ungewöhnlich viele Periphrasen hat. Es unterscheidet sich diesbezüglich auch deutlich vom Italienischen und Französischen. Eine Präferenz des Deutschen für das "Adverbielle" allerdings ergibt sich nur, wenn überhaupt, im Vergleich zum Spanischen, nicht aber im Vergleich zu anderen Sprachen.