Verbalperiphrasen werden vor allem in Bezug auf das Spanische diskutiert. Dies liegt wohl daran, dass das Spanische mehr Verbalperiphrasen kennt, die inhaltlich sehr präzise sind und bestimmte Aspekte der außersprachlichen Wirklichkeit sehr pointiert darstellen. Im Grunde gibt es sie aber in jeder Sprache, allenfalls sind sie in anderen Sprachen nicht so präzise, pointiert und „farbig“. Es kann für die folgenden Überlegungen sinnvoll sein, sich klar zu machen, dass die gleiche Verbalperiphrase in Abhängigkeit vom Kontext einen anderen semantischen Wert hat. Das kann man sich exemplarisch auch anhand einer deutschen Verbalperiphrase klar machen.
lassen + Vollverb
Das Verb lassen wird konjugiert und bekommt eine Bedeutung, die die ursprüngliche Bedeutung modifiziert. Außerhalb des Kontextes einer Verbalperiphrase entspricht lassen weitgehend aufhören.
Beispiel
Lass es ! => Hör auf damit!
Er hat es dann gelassen. => Er hat dann damit aufgehört.
Innerhalb der Verbalperiphrase hat es eine völlig andere Bedeutung, wie folgende Beispiele zeigen. Relevanter für das Verständnis des Folgenden ist aber die Tatsache, dass es innerhalb der Verbalperiphrase unterschiedliche Bedeutungen hat.
1) Er ließ ihn gewähren.
lassen => zulassen.
In diesem Falle hat irgendjemand einen anderen das tun lassen, was selbiger tun wollte. Die Verbalperiphrase bringt zum Ausdruck, dass es sich um einen andauernden Zustand handelte. Die Alternative wäre „Er gewährte es ihm“, was ein punktuelles Ereignis wäre.
2) Wir haben das Auto reparieren lassen.
lassen = beauftragen
In diesem Fall wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass man jemanden gewähren ließ, also nichts dagegen unternahm, dass dieser das Auto reparierte, sondern ganz im Gegenteil. Man hat ihn veranlasst das Auto zu reparieren. Man hat nicht zugelassen, dass er das Auto repariert und man hat ihn auch nicht aufgefordert, dies zu unterlassen. Man hat ganz im Gegenteil veranlasst, dies zu tun.
3) Du hast ihn die Rechnung bezahlen lassen.
lassen => (doppeldeutig)
Dieser Fall ist etwas zweideutig. Entweder hat man zugelassen, dass er die Rechnung bezahlt, obwohl es höflicher gewesen wäre, zumindest den eigenen Anteil selbst zu bezahlen oder man hat ihn sogar gezwungen, diese zu bezahlen.
4) Er ließ ihn die Fenster schrubben.
lassen = zwingen
Dieser Fall ist wieder anders. Hier hat man jemandem befohlen, die Fenster zu schrubben. Man hat ihn nicht gewähren lassen, man hat es auch nicht zugelassen und man hat es auch nicht veranlasst. Man hat es schlicht befohlen.
Es gibt im Spanischen Fälle, wir kommen darauf zurück, wo es zur Verbalperiphrase keine semantisch gleichwertige Alternative gibt. Solche Fälle sind im Deutschen selten, vereinzelt gibt es sie jedoch.
Beispiel a
Er arbeitete nicht mehr.
Als sie es ihm sagten, arbeitete er nicht mehr.
beschreibt lediglich einen Zustand, unter Umständen war er Rentner. Er kann er auch schon vorher gemütlich auf dem Sofa gelegen haben, als jemand hereinkam und ihm etwas sagte.
Beispiel b
Er hörte auf zu arbeiten.
Als sie es ihm sagten, hörte er auf zu arbeiten.
Bei b) sagten sie ihm zuerst etwas und dann hat er den Hammer aus der Hand gelegt oder den Computer ausgeschaltet. Die Verbalperiphrase pointiert die Tatsache, dass der Vorgang (arbeiten) beendet wird.
In dieser Situation hat auch das Deutsche zur Verbalperiphrase keine Alternative. Nur die Verbalperiphrase kann unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass eine Handlung beendet wurde.